Bin ich lebendig?

Wann "etwas"

als lebendig gilt

Wenn du glaubst, dass du binnen wenigen Sekunden herausfinden kannst, was Materie lebendig macht, dann irrst du dich. Du als Teil der Informationsgesellschaft beziehst dein Wissen aus Wikipedia und schnell gegoogelte Duden-Definitionen. Das Ergebnis nimmst du einfach so hin, ohne es zu hinterfragen. Dabei glaubst du zu wissen, was das Leben ist. Du argumentierst stets mit Google und gleichzeitig hast du keine direkten Beweise vor deiner Nase liegen - nur Definitionen. Diese wurden, basierend auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen, formuliert und garantieren keine 100%ige Richtigkeit. Warum? Ganz einfach: Weil niemand jemals eine klare Grenze zwischen lebendiger und toter Materie gefunden hat.

 

Da sich dieser Artikel natürlich nicht von den wissenschaftlichen Erkenntnissen abgrenzen möchte, stelle ich hier einmal die ersten Suchergebnisse des Begriffes "Lebewesen" vor:

"Lebewesen sind organisierte Einheiten, die unter anderem zu Stoffwechsel, Fortpflanzung, Reizbarkeit, Wachstum und Evolution fähig sind."

"Wesen mit organischem Leben, besonders Tier oder Mensch; Organismus"

Die Begriffe drehen sich - zumindest bei der Dudendefinition - im Kreis. Ein Lebewesen ist ein "Wesen mit organischem Leben". Das ist keine Definition, sondern ganz einfach eine Umschreibung des Wortes "Lebewesen" - ein Synonym, wenn man so möchte. Sie erklärt weder den Begriff, noch wichtige Zusammenhänge.

 

Wikipedia ist dahingegen viel genauer und nennt die Merkmale, die Materie lebendig macht. Unter Stoffwechsel versteht man dabei die Umwandlung von Stoffen in einem Körper. Für die Fortpflanzung ist die Reproduktion wichtig - ob dabei eine exakte Kopie des Lebewesens entsteht, oder eine Rekombination durch dem anderen Geschlecht stattfindet, spielt dabei keine Rolle. Die Reizbarkeit ist das Reagieren eines Lebewesens auf Umweltfaktoren - egal auf welche Weise und welche Antwort dabei ausgelöst wird. Mit Wachstum wird das Wachsen der Biomasse gemeint. Die Evolution beschreibt die Entwicklung einer Population, (Unter-)Art oder Klasse von Lebewesen.

Viren - untote Parasiten?

Das wohl umstrittenste Thema ist die Einordnung der Viren zur toten oder lebendigen Materie. Viren sind Krankheitserreger, welche Lebewesen infizieren können und ich deshalb spaßeshalber als die "untoten Parasiten" bezeichne. Warum arbeiten wir nicht die ultimative Wikipedia-Check-Liste ab und beurteilen dann, ob Viren sich nun stolz als Lebewesen bezeichnen dürfen oder nicht (ich bin kein lamarckist).

 

Überprüfung 1: Stoffwechsel

Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass der Stoffwechsel maßgebend dafür ist, ob es sich um ein Lebewesen handelt oder nicht. Der Gedanke ist ganz einfach: Wenn man sich nicht selbstständig am Leben halten kann, indem man Energie produziert, kann man auch nicht lebendig sein. Wenn ich mich jetzt in mein Biolabor setze und mir unter dem "Super-Ultra-Viren-Mikroskop 2000" den Aufbau eines Virus anschaue, dann wird mir eines klar: Keine Mitochondrien! Dabei sind es doch jene hart-arbeitenden Kraftwerke, die mit der ATP-Synthese Energie gewinnen. Wie sonst soll ein Virus überleben? Richtig: Gar nicht! Ein einziges Virion (Viruspartikel) wird irgendwann draufgehen. Aber bevor es diese Welt verlässt, bekommt es Nachkommen. Eigentlich so, wie bei uns Menschen, wenn man mal darüber nachdenkt. Aber unter diesem Gesichtspunkt sollte man gar nicht versuchen philosophisch zu werden.

Insgesamt: Viren haben keinen Stoffwechsel.

 

Überprüfung 2: Fortpflanzung

Diese kleinen Krankheitserreger können sich ohne Wirt nicht fortpflanzen (sofern man es überhaupt als Fortpflanzung bezeichnen kann). Es ist ja nicht so, als gäbe es einen Mama-Virion und Papa-Virion. Viren vermehren sich asexuell durch Replikation in Wirtszellen. Dabei muss der Virus bloß die Zellmembran eines Wirtes penetrieren und dann geht es los! Das Erbmaterial, welches das Virus in sich trägt (Nukleinsäure) wird vervielfältigt. Werfe ich einen erneuten Blick durch mein "Super-Ultra-Viren-Mikroskop 2000", so bemerke ich, dass Viren keine Ribosomen haben. Sie "leihen" sich also die von einer Wirtszelle aus, um Proteine herzustellen. Das Klonwerkzeug befindet sich nur in der Wirtszelle. Das ist ziemlich parasitär, sich auf Kosten anderer zu vermehren! Und weil Viren auf eine Wirtszelle angewiesen sind, werden sie auch obligat intrazelluläre Parasiten genannt. Obligat=gezwungen, intrazellulär=innerhalb einer Zelle, Parasiten=auf Kosten Anderer überleben. Sie sind gezwungen sich innerhalb einer Zelle zu reproduzieren, um das Überleben der Viren zu sichern.

Insgesamt: Viren können sich nicht von allein fortpflanzen.

 

Überprüfung 3: Reizbarkeit

Sind Viren reizbar? Dazu finde ich jetzt so nichts in meiner "Allwissend-Metall-Kiste-3.0". Deshalb schaue ich weiter unter dem Mikroskop und sehe, dass das Virus zufälligerweise eine Proteinhülle hat. Ganz recht. Es gibt auch welche ohne Hülle. Das sind dann einfach nur Nukleinsäuren. Viren sind Nukleinsäuren, die manchmal behüllt und manchmal unbehüllt sind. Aber das ist jetzt nicht weiter wichtig. Was mir auffällt ist, dass das Virus keine  Membran und kein Cytoplasma hat. Viren sind ja auch keine Zellen. Nur weil das Virus eine Hülle hat, heißt es nicht, dass diese eine Membran ist. Verwechsle niemals Hüllen mit Membranen! Das ist wichtig! Nur Zellen haben Membranen. Nur Zellen haben Cytoplasma. Viren nicht.

Reizbarkeit bedeutet (stark vereinfacht), dass ein Signal aus der Umwelt in die Zelle gelangt (Signaltransduktion). Wie soll das denn bitte klappen, wenn es gar keine Zelle gibt? Antwort: Es gibt keine Signaltransduktion. Denn dafür benötigt man mindestens eine Zelle, die von einer Membran umgeben ist, die wiederum spezifische Rezeptoren hat, an die ein extrazelluläres Signal aus der Umwelt andocken kann. Von Nichts kommt auch nichts. Ohne Signal kein Reiz. Ohne Reiz keine Reaktion.

Insgesamt: Viren sind nicht reizbar

 

Überprüfung 4: Wachstum

Ich persönlich finde es sehr interessant zu beobachten, wie eine Pflanze durch Wasser- und Kohlenstoffdioxidzugabe sowie durch viel Lichteinfall wächst. Mit den perfekten Bedingungen, kann die Pflanze a) selbst Glucose herstellen und b) dieses gleichzeitig in Energie umwandeln. Die Energie wird dazu genutzt Biomasse aufzubauen. Die Pflanze wächst. Natürlich nicht ins Unendliche. Irgendwann ist der Wachstum eben gesättigt (außer bei Krebszellen). Aber zurück zum Thema: Ein Virus kann nicht wachsen. Wie soll das ohne Energie klappen? Und überhaupt...eine organische Struktur ohne zelluläre Basis kann nicht einfach wachsen. Es sei denn man versteht unter Wachstum, wie eben bei Krebszellen, die Vermehrung von Zellen. Ein wachsender Tumor bedeutet, dass sich die Zellen weiterhin unkontrolliert vermehren. Wachstum ist also nicht klar definiert, sondern hat je nach Forschungsgebiet eine andere Bedeutung.

Insgesamt: Biologisch betrachtet haben Viren kein Wachstum der Biomasse, können sich aber mithilfe von Wirtszellen replizieren.

 

Überprüfung 4: Evolution

Das war ein schönes Thema für mich damals im Bio-Unterricht. Evolution ist allgemein eine sehr interessante Sache. Sie trifft nicht nur auf Organismen zu. Auch Viren können evolvieren, da sie ja aus Nukleinsäure bestehen. RNA und DNA kann sich beim Replizieren verändern - das wissen wir alle. Wäre dem nicht so, gäbe es kein Leben auf der Erde. Anders ausgedrückt: Ja, Viren können mutieren. Nicht umsonst kommt jedes Jahr ein neuer Impfstoff gegen Influenza auf den Markt. Nicht etwa, um mehr Menschen dazu zubewegen, sich impfen zu lassen - die Pharmaindustrie ist ja ach so böse. Es liegt daran, dass Viren aufgrund des natürlichen Selektionsdruckes Resistenzen gegen Impfstoffe entwickeln. Aber Schuld daran ist das Klonwerkzeug unserer Zellen. Denn nur durch Zellen können Viren erst mutieren. Nur dort können sie sich fortpflanzen. Bei der Replikation von DNA und RNA können Fehler entstehen (Mutationen) - et voilà: Ein neuer Virus.

Insgesamt: Viren können sich evolvieren

 

Wenn wir das ganze jetzt auswerten, kommen wir eindeutig auf das Ergebnis, dass Viren nicht zu den Lebewesen gehören (zumindest nach den Kriterien, die für Lebewesen gesetzt wurden). Aber das liegt meines Erachtens nach keineswegs an die Abhängigkeit an einen Wirt. Viele Lebewesen benötigen einen Wirt, um zu überleben. Parasiten sind auf einen Wirt angewiesen. Sie haben zwar einen eigenen Stoffwechsel und können sich auch selbst replizieren, doch ich sehe da keinen Unterschied. Es ist egal aus welchem Grund ein Organismus auf ein anderes angewiesen ist - es ist trotzdem ein Organismus. Das Überleben eines Parasiten ist abhängig von den Ressourcen eines anderen Lebewesens. Punkt.

 

Warum sind Viren dann keine Lebewesen? Für mich spielt der Aspekt der Reizbarkeit die größte Rolle. Alle Lebewesen registrieren mindestens einen Umweltfaktor und können mindestens eine Antwort darauf geben - sei es nur die Fortbewegung einer Zelle durch Härchen. Signaltransduktion ist meiner Meinung nach ein Indiz für Leben. Viren können keine Signale von Außen empfangen und das disqualifiziert sie von den Lebewesen. Ob ein Lebewesen, der plötzlich keine Signale mehr empfangen kann, als lebendig bezeichnet werden kann, diskutiere ich teilweise in meinem unveröffentlichten Buch. Die Leseprobe gibt es hier.

Jetzt geht es erst richtig los...

Halten wir kurz fest: Niemand kann ohne der Umwelt überleben. Also was spielt das für eine Rolle, ob wir die belebte Umwelt für Energiezufuhr oder Replikation benutzen? Nur weil Viren nicht alleine überleben, kann man sie doch nicht vom Lebendigen ausschließen, oder? Wer von uns würde ohne Gesellschaft oder Natur überleben? Richtig: Niemand. Doch nach der biologischen Definition zählen Viren ganz klar zur toter Materie. Für jene, die sich nur auf Definitionen stützen, ist dieses Thema an dieser Stelle vorbei. Aber du hast noch nicht weggeklickt, was zeigt, dass du ein differenziertes Bild von dem Thema erhalten möchtest.

Alles eine Frage der Komplexität?

Ab wann sind wir Menschen eigentlich lebendig? Unsere Organe müssen funktionieren. Aber Organe an sich bestehen aus Zellen und diese wiederum sind bloß, durch DNA programmierte, Einheiten, die wie eine Maschine Befehle befolgen. DNA ist unsere Programmiersprache, wenn man so will, und Zellen können sich durch Genexpression ausdifferenzieren und spezifischen Aufgaben nachgehen. Egal ob Muskelzelle oder Nervenzelle - erst wenn sie alle zusammenarbeiten, kann ein einzelnes Organ funktionieren.

 

An dieser Stelle möchte ich ein interessantes Simulationsspiel vorstellen, welches der Mathematiker John Horton Conway entworfen hat - das Spiel des Lebens. In einem (möglichst unendlichen) Gitterfeld werden Zellen mit Nachbarzellen platziert. Es gibt vier einfache Regeln, die den unvorhersehbaren Verlauf des Spiels bestimmen.

Zelle mit weniger als 2 lebenden Nachbarn sterben (Einsamkeit)

Zelle mit mehr als 3 lebenden Nachbarn sterben (Überbevölkerung)

Zelle mit 2 oder 3 lebenden Nachbarn bleiben am leben

Tote Zelle mit genau 3 Nachbarn wird wieder lebendig.

Wenn man Pech hat erreicht die Population der Zellen nach wenigen Sekunden ihr Maximum von 6 Zellen. Wenn man Glück hat erschafft man riesige Kolonien und mehrere Populationen, die völlig unabhängig voneinander existieren. Die Populationen können anwachsen und schrumpfen oder sich gegenseitig ausrotten. Es wirkt teilweise so, als würden sich ganze Lebensformen durch den Raster bewegen. Das alles nur aufgrund 4 simplen Gesetzen! Alles Andere scheint purer Zufall sein.

Unsere Zellen gehorchen, wie auch die Zellen in der Simulation, Regeln, die in unserer DNA verknüpft ist. Die Grundregeln bleiben immer gleich. Doch in dem Spiel und auch in der Realität kommt es zu Veränderungen - der Evolution. Manche Populationen sterben komplett aus, manche spalten sich voneinander und manche wachsen an. Wie es Darwin auch schon bemerkte, bleibt die Populationsdichte ziemlich konstant, wenn es keine Änderungen in der Umwelt gibt. Dies ist auch im Simulationsspiel der Fall. Irgendwann bleibt die Anzahl der Zellen immer gleich. Man müsste das Spiel um Naturkatastrophen, Zellteilung und Stoffwechselprozessen mit Energieverbrauch, bzw. -aufnahme erweitern, um es noch realitätsnäher zu gestalten. Letztendlich ist es die Umwelt, die maßgeblich zu der Evolution beiträgt. Ändert sich die Umwelt, können jene mit vorteilhaften Merkmalen überleben und haben einen höheren Fortpflanzungserfolg. Schlussendlich ist es nicht die Komplexität allein, die uns lebendig macht. Sie ist aber notwendig für das Überleben von Individuen im Zuge einer Umweltveränderung als "Anpassungsprozess". Doch je komplexer ein Individuum ist, desto mehr Energie benötigt es. Hier ist die große Frage: Ist der Nutzen größer als die Kosten? Diese Frage beantworten sogenannte Kosten-Nutzen-Analysen mit Hinblick auf Angepasstheiten, wie zum Beispiel dem menschlichen Gehirn. Auf Dauer kann ein Lebewesen nur überleben, wenn es mehr Energie erhält, als es letztlich verbraucht. Das zeigt uns, dass große Tiere keinesfalls die ultimativen Überlebenskünstler sind. Vielmehr sind es Viren und Bakterien, die eine hohe physiologische Potenz haben - das heißt, die extreme Umweltschwankungen aushalten. Kein Wunder, dass es mehr Arten von Viren gibt, als verschiedene Arten von Tieren.

1. ist, aufgrund ihrer niedrigen Komplexität, ihre Evolutionsrate hoch, was bedeutet, dass sie sich schnell verändern.

2. gibt es nicht viele natürliche Begebenheiten, die Bakterien und Viren abtöten

Von Nichts kommt auch Nichts

Einen Satz, den ich nahezu in jeder Diskussion über das Bewusstsein verwende...

Ein Organ an sich macht uns  noch nicht zum Menschen. Dir sollte aber klar sein, dass alle Reize im Gehirn verarbeitet werden. Dort werden Erinnerungen gespeichert. Wenn wir also das Gehirn austauschen, sind wir nicht mehr dieselbe Person. Alle Erinnerungen, die Persönlichkeit und einfach alles, was uns ausgezeichnet hat, ist futsch. Doch das eigene Gehirn allein, macht uns auch nicht lebendig. Erst wenn wir Reize aus der Umwelt erhalten und tatsächlich mit ihr interagieren können (auf einen Reiz folgt eine Antwort), dann sind wir lebendig. Von Nichts kommt auch Nichts. Das diskutiere ich in dem Artikel "Das Gehirn im Glas". Zählt man Umweltinteraktion und Evolution zusammen, so erhält man die Formel des Lebens. Meines Erachtens nach muss ein Individuum in der Lage sein, sich zu evolvieren, was ja schon bei einfachen RNA-Fragmenten der Fall ist, da auch dort Mutationen entstehen können. Des Weiteren muss es irgendwie Reize aus der Umwelt empfangen. Simple physikalische Signale wie Licht reichen auch schon aus. Aber was nützen Signale, wenn sie nicht zu einer Antwort führen? Deshalb muss sich durch Reize irgendwie die Genexpression ändern - als Regulierungsvorgang. Reizbarkeit + Antwort + Evolution = Leben. Das sind meiner Meinung nach die Grundlegenden Bedingungen. Stoffwechsel, Fortpflanzung (Teilung ausgenommen) und Wachstum sind keine notwendigen Merkmale für lebendige Materie. Parasitismus und einfache Replikation der RNA reichen vollkommen aus, solange sich diese sowohl zufällig verändert (Evolution durch Mutation), als auch gerichtet verändert (Genexpression auf einen Reiz hin).

Sekundärliteratur:

  1. Seite „Leben“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 18. März 2019, 09:58 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Leben&oldid=186702941 (Abgerufen: 27. März 2019, 20:31 UTC)
  2. Dudenredaktion (o. J.): „Tulpe“ auf Duden online. URL: https://www.duden.de/node/676129/revisions/1917527/view (Abrufdatum: 27.03.201)
  3. Conway's Game of Life: http://beltoforion.de/article.php?a=game_of_life&hl=des
  4. Hausfeld, Rainer; Schulenberg, Wolfgang. BIOskop SII. Ausgabe 2010